Aus dem Mustopf
Aus dem Mustopf
Dienstag, 16. September 2008
Der September ist für den Mann vom Balkon ein außerordentlich wichtiger Monat. Im September wird Pflaumenmus gekocht. Pflaumenmus kann man immer essen. Auf dem Hefebrötchen. Auf einer Schnitte Sauerteigbrot. Als Füllung eines Knödels. In einer Mürbeteighülle. Mit dem Löffel aus dem Glas. Das Problem - es gelingt nie, genügend Pflaumenmus einzukochen, um damit komplett über den Winter zu kommen. An einem trüben Februartag werden die letzten Reste aus dem letzten Glas gekratzt. Vorbei. Jedes Jahr wieder wird dann der Vorsatz gefasst, diesmal aber auch wirklich genug davon zuzubereiten. Auch jetzt wieder.
Die Früchte werden alle per Hand entkernt. Mit Gummihandschuhen, damit der Saft nicht Haut und Nägel für Wochen gelbbraun gerbt. Bei den etwas früher gehandelten Pflaumen hängt das Fruchtfleisch noch fester an den Kernen, bei jenen, die ab Mitte des Monats auf den Markt kommen, geht das leichter.
Jetzt stellt sich eine Gewissensfrage. Wie fein soll das Mus werden? Man kann die Pflaumen bis zum kompletten Strukturverlust pürieren. Oder sie durch den Wolf drehen, mit einer feineren oder einer gröberen Siebscheibe. Die Pflaumenmusmacher alter Schule schwören aber alle darauf, die Pflaumen vor dem Kochen nicht weiter zu zerkleinern. Das gibt dem fertigen Fruchtaufstrich Biss. Der Geschmack bleibt länger im Mund. Also bin auch ich nach einigen Experimenten mit dem Fleischwolf reumütig zum Verarbeiten der nicht weiter zerteilten Pflaumenhälften zurückgekehrt - auch, wenn die Zubereitung dann deutlich länger dauert.
Es wird allerorten gejammert, dass man beim Pflaumenmuskochen stundenlang rühren müsse, sonst brenne doch alles an. Ganz Findige denken sich sogar Pflaumenmus-Rührgeräte aus. Abenteuerliche Konstruktionen, bei denen sich ein folienumpackter Motor auf einer Halterung befindet, die auf dem Topf arretiert wird. Eine davon wird demnächst wohl sogar bei „Einfach genial“ vorgestellt. In der Tat ist die Gefahr des Anbrennens um so höher, je feiner die Früchte püriert worden sind. Bei der Rezeptidee, der ich folge, passiert das nicht. Ein Argument mehr für die gröbstmögliche Version von Pflaumenmus.
Jetzt verrate ich noch was - in unser Pflaumenmus gehören grüne Walnüsse. Richtig - frische Walnüsse samt grüner Außenschale. Zu gebotener Gelegenheit, nämlich hier, hatte ich ja schon erklärt, dass ich drei Mal im Jahr zum Nussbaum gehe, um mir meinen Teil zu holen. Jetzt ist die Zeit, um zum zweiten Mal zu ernten. Beim dritten Mal mache ich nichts weiter, als die heruntergefallenen Nüsse aufzuheben, um sie später zu knacken und zu essen wie jeder normale Mensch. Das ist dann nichts Besonderes mehr.
Der Trick mit den grünen Nüssen ist kulinarisches Insiderwissen. Ein selten geteiltes Betriebsgeheimnis. Die Leute, die davon wissen, bilden einen verschwiegenen Club. Man kann Nichteingeweihte zu höchstem Erstaunen treiben, wenn man von den grünen Nüssen erzählt. Eine ähnliche Überraschung erzielt man aber auch bei Menschen, die Pflaumenmus auf die gleiche Weise zubereiten. Sie können sich oft nicht vorstellen, dass noch jemand von dieser Zubereitungsvariante weiß. Bei einem Dreh für „Einfach genial“ bot uns ein Erfinder einen Frühstücksimbiss an und wollte uns raten lassen, was für eine dunkelviolette Masse sich wohl in jenem Glas auf dem Tisch befinde. Als ich wie aus der Pistole geschossen auf „Pflaumenmus mit grünen Nüssen!“ tippte, war der Mann baff und brauchte einige Zeit, um sich zu sammeln.
Die Wurzeln für dieses Rezept scheinen in Sachsen-Anhalt zu liegen. Dort her kam meine Oma, dort wohnte auch der gerade erwähnte Erfinder. Ich weiß überhaupt nur eine dritte Familie, die Pflaumenmus so kocht - das sind die Ebbeckes aus Audenhain, die dort eine wunderschöne Paltrock-Windmühle betreiben, in der wir auch einmal gedreht haben. Gut, Audenhain befindet sich in Nordsachsen. Außerdem gibt es Menschen, die auf die Ursprungsregion Thüringen pochen. Geschenkt. Ich bleibe bei meiner Theorie.
Muskochen dauert Stunden. Mein Vater hat mir erzählt, dass auf dem Gut, wo er aufwuchs, Waschkessel voll Pflaumen eingekocht wurden. Da ging dann mal ein ganzes Wochenende drauf. Aus der anfangs hellen, von Saft durchtränkten Masse, in der sich die Schalen dunkler abheben, wird irgendwann zähflüssiges, klebriges Mus. Alle sichtbare Flüssigkeit muss verdampft sein, wenn die finalen Handgriffe erfolgen: Zuckern und würzen. Beides nach Geschmack und eher zurückhaltend. Pflaumenmus darf nicht vordergründig süß sein. Und bei der Zugabe von Gewürzen muss mit Bedacht vorgegangen werden - Zimtaroma zum Beispiel wird beim Erwärmen kräftiger und zieht auch nach dem Abfüllen ins Glas noch an.
In ländlichen Gegenden ist fertig gemischtes Pflaumenmus- (oder süddeutsch Latwerge-) Gewürz handelsüblich. In der Stadt habe ich so eine Mixtur noch nie gesehen. Also musste erkundet werden, was normalerweise in diesen Tüten steckt: Anis, Zimt, Nelken, Zitronenschale, Ingwer, Sternanis, Kardamom. Ohne Zimt geht in der Tat gar nichts. Mit Nelken, Kardamom und Ingwer kann man sparsam sein. Sternanis, frisch gemörsert, sorgt für eine sanften, warmen Ton im Hintergrund. Anis schafft leichte Schärfe.
Nach dem Abfüllen ist es nicht falsch, die Pflaumenmusgläser kurz im Backofen zu sterilisieren. Das Mus wird meist nicht so heiß abgefüllt wie eine Marmelade. Schimmelpilzkeime habe da eher eine Chance. Also nochmals Hitze drauf. Andererseits ist das Zeug ohnehin nicht dafür gedacht, jahrelang im Kellerregal für schlechtere Tage aufbewahrt zu werden. Wie eingangs erwähnt, geht nichts so gut weg wie das selbst gemachte Pflaumenmus. Das diesmal vielleicht sogar bis in den Frühling 2009 reichen wird.
Bauernpflaumen aus Gransee