Es ist immer gut zu wissen, wo der nächste Nussbaum steht. Wir haben einen im Nachbarhof, dessen Äste über den Zaun reichen.
Einige weitere Bäume stehen ein paar Straßen entfernt in einer sympathisch verwilderten früheren Kleingartenanlage, die ein Sicherheitsunternehmen provisorisch abgesperrt hat. Mit anderen Worten - wer da rein will, geht da rein. Wenn ich Walnüsse brauche - und ich brauche drei Mal im Jahr welche -, weiß ich, wo ich sie bekommen kann.
Im normalen deutschen Kleingarten sind Walnussbäume allerdings nicht gerade wohl gelitten. Die meisten Vereinsverordnungen verbieten sie schlichtweg, genau wie Holunder oder Haselnuss. Die Bäume, heißt es, nähmen zu viel Platz weg. Ihr Laub verrottet schwer, und im Schatten eines volljährigen Walnussbaums wächst sonst nicht mehr viel.
Für die einen ist
Juglans regia also ein guter alter Freund, ein idealer Haus- und Hofbaum. Für die anderen ein Ärgernis, das gerodet gehört. Womöglich hat letztere Partei in den vergangenen Jahren die Überhand gewonnen. Das Kuratorium "Baum des Jahres" klagte 2007 über "mangelnde Nachpflanzung" und "übertriebene Nutzung" der Walnuss,
weswegen ihr Bestand in Deutschland stark zurückgegangen sei. Grund genug, die Walnuss zum "Baum des Jahres 2008" zu küren.
Wer nicht verstehen mag, was so Begeisterndes an diesem Gewächs ist, der lese hier mal aus der Laudatio zur Titelvergabe. Verfasst hat sie der Forstbotanik-Professor Andreas Roloff aus Tharandt. Zum Glück ganz und gar kein Exempel stocknüchterner Wissenschaft. Der Mann schwärmt nachgerade von der "silbrigen Rinde" und den "knorrigen Ästen", die dem Baum Charakter verleihen. Er erzählt von "Plumpsfrüchten" und "Blendernüssen", zitiert Gedichte, Märchen und Redewendungen.
Damit kann der Mann vom Balkon sich aber jetzt nicht lange aufhalten. Er muss in den Keller, um einen Korb zu suchen. Ende Juni stellt sich das erste Mal im Jahr die Beschaffungsfrage für Walnüsse. Zu einem Zeitpunkt also, zu dem von richtigen Nüssen noch gar nicht gesprochen werden kann, weil sich innerhalb der grünen Schale der Früchte noch kein Holzkern gebildet hat. Diesen Zeitpunkt gilt es abzupassen, denn aus den grünen Nüssen sollen schwarze werden.
Die berühmten "Schwarzen Nüsse" sind offenbar in Deutschlands Weinbaugegenden erfunden worden. Die Pfalz (siehe hier) beansprucht am lautesten den Titel der Ursprungsregion. Ich kenne die Nüsse aber auch aus Baden-Württemberg. Auch da gibt es immer noch genug Walnussbäume, und dort übt man sich schon lange in der Kunst, alles, was links und rechts vom Weg wächst, entweder zu Schnaps zu brennen oder zur Konserve zu machen.
Für die folgenden Verarbeitungsschritte trägt man dann besser
Gummihandschuhe und Oberbekleidung, auf die man hinterher notfalls verzichten kann. Jede Nuss wird mit einer Nadel rundum etwa zwanzig Mal eingestochen. Nicht zu tief, es soll nur die äußere Schale durchstoßen werden. Dazu nimmt man am besten eine Spicknadel - Schaschlikspieße sind an der Spitze mitunter abgeflacht, sodass sie beim Einstechen zu große Löcher reißen. Anschließend kommen die Nüsse in eine Schüssel oder einen Eimer und werden mit kaltem Wasser bedeckt. Die Schüssel stellt man an eine schattige Stelle auf dem Balkon. Dort bleibt sie zehn, besser vierzehn Tage. Jeden Tag gießt man das Wasser ab, spült die Nüsse und füllt neues Wasser auf. Zweck der umständlichen Übung - die Bitterstoffe sollen ausgelaugt werden.
Am zehnten oder meinetwegen am vierzehnten Tag werden die Nüsse in reichlich leicht gesalzenem Wasser gekocht, so zehn Minuten. Sie sollten dann spürbar weicher sein als vorher, aber noch elastisch und fest und nicht mürbe. Abschrecken.
Nun folgt der zweite Schritt. Man setzt so genannten Läuterzucker an. Das ist eine Mischung aus einem Teil Wasser und zwei Teilen Zucker (also z. B. 500 ml Wasser auf 1 kg Zucker). Dazu kann man schon Gewürze geben, z. B. eine Zimtstange, zwei oder drei Nelken, etwas abgeriebene Zitronenschale. Beim Aufkochen des Wassers löst sich der Zucker vollständig auf, es entsteht Sirup. Man braucht davon so viel, dass die Nüsse in ihrer Schüssel bedeckt werden können.
Den kochenden Sirup also über die Nüsse schütten und wieder ziehen lassen. Am nächsten Tag gießt man die Zuckerlösung in einen Topf ab, kocht sie erneut auf und gibt sie wieder über die Nüsse. Das Ganze fünf Tage lang wiederholen. Am sechsten Tag kann man die Nüsse endlich einkochen - sie werden in der Zuckerlösung kurz aufgekocht und in Schraubgläser gefüllt. Anschließen lässt man den Sirup noch einmal aufwallen, gibt ihn dann über die Nüsse in den Gläsern und verschließt diese.
Weitere Konservierungsmaßnahmen sind wegen des hohen Zuckeranteil eigentlich nicht nötig. Wer aber ganz sicher gehen will, kann die verschlossenen Gläser noch pasteurisieren. Dazu in den Backofen auf ein Blech/in die Fettpfanne stellen, heißes Wasser bis 2 cm Höhe aufgießen und bei 175 Grad so lange erhitzen, bis Blasen in den Gläsern aufsteigen. Ofen ausschalten und erkalten lassen. Ich verzichte immer lieber auf das zusätzliche Einkochen, weil ich den Verdacht habe, dass die Nüsse dadurch zu stark nachgaren und unappetitlich weich werden.
Damit die Nüsse schmecken, sollte man sie mindestens bis Weihnachten reifen lassen. Dann sind sie, in dünnste Scheiben geschnitten, eine ideale Begleitung für Wildschinken
oder kräftigen Käse. Sie eignen sich aber, fein gewürfelt, auch als Krönung eines Desserts. Vanillecreme zum Beispiel. Wer genug Vorräte angeschafft hat, kann die Nüsse außerdem zur Basis von Mousse oder Eis machen. Rezepte stehen
hier - leider nicht vollständig, sondern bloß als Zutatenliste. Aber in jedem vernünftigen Dessert-Kochbuch wird sich ein Grundrezept für Mousse finden lassen, das man nur anpassen muss.
Eingangs hatte ich erwähnt, dass ich drei Mal im Jahr zum Nussbaum gehe, um mich zu bedienen. Heute war das erste Mal. Im August komme ich wieder. Dann ist Pflaumenmuszeit. Was das mit unreifen Walnüssen zu tun hat, klärt sich zu gegebener Zeit.