Brühdruckreduziert
Brühdruckreduziert
Freitag, 29. Januar 2010
Mit Lust und mitunter einigem Recht machen Menschen gern den SPIEGEL madig. Aber es gibt auch Tage, an denen man ihn lieben muss. Diese Woche zum Beispiel für einen im Kulturteil versteckten Einspalter, der mit drei Diagnosekriterien die knackige Charakterisierung des Phänomens „Nerd“ liefert. Das also mache den Nerd aus: „Riesiges Wissen auf einem Spezialgebiet, die Fähigkeit zur sozialen Vernetzung innerhalb dieses Spezialterrains und ein unvorteilhaftes Äußeres“. Eigentlicher Gegenstand des Artikels ist übrigens das Album „One Life Stand“ der Band Hot Chip.
Ich habe mich in den letzten Wochen mit Nerds aus gleich mehreren Fachgebieten verständigen müssen, und zwar in diversen Internet-Boards. Deshalb ist die Gültigkeit der zitierten Definition für mich natürlich nur eingeschränkt überprüfbar, zumindest zu Punkt 3 kann ich nur Vermutungen anstellen. Aber ich neige in den meisten Fällen doch zur Ansicht, dass an der Sache was dran ist.
Erster Anlass zum Eintritt ins Nerd-Universum war der plötzliche Ausfall der familieneigenen Wii-Spielekonsole. Bei der Stichwortsuche nach „Nintendo Wii tot“ landet man, wenn man nicht gut acht gibt, im Forum „Wii Freak“, einem Ableger des „Freak Network“. Dort liest man als nicht Eingeweihter fassungslos von „Wasabi-Chips“, „Homebrews“ sowie „LCUDv3 ,UUDv2 und UUDv4“. Übrigens fand sich später in der Gebrauchsanleitung des Geräts der Hinweis, es in solchen Fällen schlicht für einige Minuten liegen zu lassen und dann wieder einzuschalten. Das half.
Zweiter Kontakt: die audiophilen Nerds. Vor einigen Wochen hatte ich versuchsweise den Tonausgang des Rechners per Kabel mit der Stereoanlage verknüpft, um die 80 Gigabyte schwere Musikbibliothek mal über richtige Boxen abzuspielen. Das Ergebnis war enttäuschend - das Tonsignal viel zu leise, dazu ein vernehmliches Brummen. Anfangs hielt ich das verwendete Kabel für den Schuldigen. Doch eine kurze Plauderei mit einem in der Sache bewanderten Cutter schaffte Aufklärung. Man unterrichtete mich, hier handle es sich um eine typische Brummschleife. So etwas entstehe dann, wenn Computer und Anlage an unterschiedliche Steckdosen angeschlossen werden. Offenbar ein Problem mit der Erdung. Sucht man nach einer Möglichkeit, die Sache zu beheben - abgesehen davon, dass man beide Geräte an eine gemeinsame Steckerleiste anschließen könnte -, findet man im Netz ausführliche Dispute über Potentialausgleichsschienen, Mantelstromfilter oder Übertrager mit galvanischer Trennung. Klingt, als müsste ich zur Klärung des Problems eigens ein Studium abschließen. Dazu fehlt mir allerdings ein wenig die Muße.
Zu den Überzeugungen, die bei der Suche rasch über die Reling geworfen werden müssen, gehört jene, dass die Maschine umso mehr taugt, je höher ihr Pumpendruck ist. Die Hersteller versuchen, den Käufer mit Kennziffern von 15 oder gar 16 bar zu beeindrucken. Aber genauso wie es bei den Computern einen Gigahertz-Mythos gab und bei den Digitalkameras einen Megapixel-Mythos, so ist auch die Sache mit dem Pumpendruck ins Reich der Legenden zu verweisen. Leistungsfähige italienische Bar-Espressomaschinen arbeiten mit nur 9 bar. Und laut Definition des italienischen Espresso-Instituts INEI ist nur jener Espresso ein guter Espresso, der aus 7 g Kaffeemehl unter 9 bar Brühdruck binnen 25 Sekunden in die Tasse rinnt und dabei 25 ml Extrakt ergibt. Nähere Angaben zur gewünschten Viskosität, zur Temperatur, zum Koffeingehalt und zur idealen Farbe der Crema übrigens hier. Da überrascht es nicht, dass sich etliche belesene Espressomaschinenkäufer den Brühdruck vom Verköufer reduzieren lassen (das geht mit einer Manipulation am Expansionsventil) und bei den Kaffee-Nerds eine angeregte Diskussion darüber brodelt (hier). Die Themen Tuning und Modding sind damit selbstverständlich nicht abgeschlossen. Man kann auch Manometer ins Gehäuse der frisch erworbenen Rancilio-Maschine einsetzen. Oder Temperaturfühler anbringen. Aufgrund der großen Hysterese des Brühthermostaten ist Temperatursurfen sehr empfehlenswert. Soso.
Was habe ich noch komplett vergeigt in den letzten Jahren? Zunächst mal alles, was mit fachgerechter Reinigung zu tun hat. Bisher hatte ich mich komplett auf die regelmäßige Entkalkung fokussiert. Da war ich aus zwei Gründen etwas leichtsinnig. Zum einen verträgt Frau Gaggia wegen ihres aus Aluminium gefertigten Kessels keine zitronensäurehaltigen Entkalker, weil diese das Metall anlösen. Durch die Nahrung - oder eben über den Kaffee - aufgenommenes Aluminium hat den schlechten Leumund, das Alzheimer-Risiko zu erhöhen. Wie immer kann das kein Mensch mit Sicherheit bestätigen, aber das dauernde Geraune über die mögliche Gefahr schwächt die persönliche Bullshit-Abwehr. Zum anderen vergisst man vor lauter Eifer im Kampf gegen den Kalk die viel wichtigere Reinigung von Kaffeeresten, die vor allem in Form von Öl gern tief in die Maschine steigen und erst das Sieb, dann den Verteiler und dann das Magnetventil verschlammen, verstopfen, ersticken. Ich sage es ganz vorsichtig, bitte nicht auf mich einprügeln: Die Existenz von Kaffee-Fettlöser war mir bislang verborgen geblieben.
Heizwendelsymbol auf der Gaggia Tebe.