Als Goethe per Kutsche die Via Appia herunter holperte, durften die Albaner Berge wohl tatsächlich noch als Roms lauschiger Grüngürtel zählen, in den die Begüterten ihre Villen setzten, um weltzufrieden auf den
Lago di Albano oder in das malerische Vulkanloch des Nemi-Sees zu blicken. Heute schweigen sich viele Reiseführer über diese Region vornehm aus.
Mit einigem Recht, denn von Rom und der unfreundlichen
Pontinischen Ebene aus sind die
Colli Albani mit Siedlungen zugewuchert. Kaum Kerne, nirgendwo gemessenes Abwechseln von Wohngebieten und Land, nur noch ein endloser Flickenteppich aus Häusern, handtuchgroßen Feldstücken und grob asphaltierten Wegen. Ein Umstand, der allerdings nur von Touristen beklagt wird - die Einheimischen nehmen das pragmatisch und erzeugen rund um die Hügel ein paar schöne, frische Weißweine.
Zum Beispiel Ernesto Lercher, ein Zugezogener,
geboren im Südtiroler Pustertal, der sich der biologischen Weinerzeugung verschrieben hat. Bei ihm bekommt man einen „Colli Lanuvini“, das ist die geschützte Ursprungsbezeichnung für die Region um das Örtchen Lanuvio. Ein Weißwein, der hauptsächlich aus Trebbiano-Trauben gekeltert wird, dazu ein Anteil Malvasia und im Falle von Lerchers „Mutino Oro“ noch ein wenig Muskateller. Es fügt sich gut, dass man in Familie Lerchers „Casa Tre Palme“ auch
Ferienwohnungen und Zimmer buchen kann. So bestellt man sich jeden Morgen eine oder zwei Flaschen aus dem Keller, die sich dann am späteren Abend, wenn man in die dämmrige Ebene blickt und den Grillen zuhört, mit großen Schlucken trinken lassen. Nicht eiskalt allerdings, warnt Ernesto Lercher - dann verliert der Wein viel von seinen Zwischentönen, die in die kräftige mineralische Basis eingebaut sind. (Mehr zu den Weinen und einigen typischen Gerichten der Region übrigens
hier.)
Dienstags und samstags fährt man dann auf den Markt im Nachbarort
Velletri, wo die Bauern der Region Obst, Gemüse, Wein und Käse auf die Tische türmen. Sehenswert schon wegen der Auswahl an Tomatensorten, der keine EU-Regelungsbemühung etwas anhaben konnte. Das beginnt bei den in letzter Zeit zu Ruhm gelangten, geschmacklich allerdings überschätzten
San-Marzano-Tomaten. Dann die beindruckenden
Cuor di Bue, die
„Ochsenherzen“. Zu meiner Favoritin wurde eine eigenwillig geformte tiefrote Tomate, die unter dem nirgendwo sonst aufzufindenden Sortennamen „Farfalle“ angeboten wurde - eine Frucht gewordene Verweigerung jeder industriellen
Nutzung, tief gerippt und unten löchrig, keine zwei Exemplare gleich groß, aber von einem unübertroffen tiefen, süßen Geschmack. Daneben liegen zum Bündel geschnürte Zucchiniblüten, 30 Stück für zwei Euro, fingerlange junge Zucchini, gelbe und rote Pfirsiche, tatsächlich wilde Brombeeren, überreife Feigen,
Fragoline (Walderdbeeren) aus Nemi, außerdem winzige wilde Nektarinen, deren italienischen Namen ich leider vergessen habe, die aber ohnehin nicht typisch für die Region seien, sagt Öko-Weinbauer
Lercher. Aber in der Vulkanerde der
Colli Albani wächst eben prinzipiell alles. Kaum zu zählen auch die Salatsorten - neben dem allgegenwärtigen Rucola auch Zichorienblätter und weitere nicht einzuordnende Pflücksalate. Dazu passt das milde Öl,
das Ernesto Lercher aus seinen ebenfalls biologisch kultivierten Oliven pressen lässt.
Was jetzt noch zu einem perfekten Essen fehlt, ist
Porchetta. Wörtlich übersetzt heißt das „Schweinchen“. Die einzig echte
Porchetta stammt aus Ariccia, einem Flecken an der Via Appia mit halbwegs intaktem Zentrum, schönen Pinienalleen und einer beeindruckenden Talbrücke. Für die Zubereitung von
Porchetta wird ein - immer weibliches - Spanferkel entbeint, mit Fenchel, Pfeffer und Rosmarin gewürzt, zur Rolle geschnürt und in einem mit Holz befeuerten Ofen gebacken. Ein Großteil des Fetts läuft dabei ab, dafür bildet sich eine knusprige Kruste,
von der man sich gern noch ein Stück extra abschneiden lässt.
Porchetta wird vom lauwarmen Laib in dünne Scheiben geschnitten, das Fleisch schmeckt am besten frisch, wenn die Kruste noch knackt. Zwischenlagerung oder gar Kühlung machen das verbliebene Fett talgig und die Schwarte weich. Exportbemühungen scheitern daher regelmäßig. Ein Bekannter von uns hatte die Idee,
Porchetta täglich frisch mit dem Flugzeug von Ciampino aus nach Berlin zu holen und dort zu verkaufen.
Wir haben dann noch einmal von ihm gehört, als er sich auf den Vertrieb etruskischer Keramik verlegt hatte. Später dann nichts mehr.
Wenn man zum Abend mal nicht
Porchetta mit frischem Brot und Olivenöl isst, geht man in eines der zahllosen Restaurants. Erstaunlicherweise finden offenbar alle ihre Auskommen, und wirklich schlechte Küche gibt es kaum. Sympathisch zum Beispiel das „La Torre“ gleich neben dem mittelalterlichen Stadtturm von
Lanuvio, Beiname „Roby & Rose“. Wolfram Siebeck hat mal als Qualitätskennzeichen eines Lokals festgelegt - wo Kutteln auf der Karte stehen, kann die Küche so übel nicht sein. Das findet hier seinen Beleg. Man sitzt am Panoramafenster, bemüht, über die Mülltonnen auf dem Parkplatz darunter hinweg zu schauen, und nimmt zur Vorspeise frittierte Zucchiniblüten, gefüllt mit einem Stückchen Mozzarella. Dann eine beliebige Pizza mit millimeterdünnem, krossen Boden und blasigem, splittrigem Rand, zum Beispiel jene mit Kürbisblüten und
Sardellen. Oder die mit Thunfisch und Artischocken. Oder jene mit frittierten Kartoffelscheiben und Rosmarin. Wenn man größtmögliche kulinarische Kontraste sucht, lässt man auf die Fettucine mit Trüffelsauce eine Schüssel Kutteln, hier
Trippa, mit Pecorino folgen. Für meinen Teil war das eine interessante geschmackliche Erfahrung, die sich nicht unbedingt wiederholen müsste. Respekt für jeden, dessen Leibspeise das ist - meine wird es nicht. Enttäuschend dann die Nachspeisen im „La Torre“ - aufgetaute Cremetörtchen mit künstlichen Aromen. Dann lieber ein Eis aus der „Bar Centrale“ - am liebsten mit dem Geschmack von
Pinoli, Pinienkernen.
Zur Monatswende vom Juli zum August ist „Sagra delle Pesche“ in
Castel Gandolfo, dem päpstlichen Sommersitz über dem Albaner See. Das jährliche Fest zum Ruhme des Pfirsichs,
so etwas Ähnliches gibt es auch in anderen italienischen Orten. Kleine Falle für Italienisch-Anfänger: der nicht unbedeutende Unterschied zwischen den Wörtern
le pesche (Plural von
la pesca, Pfirsich, kann aber auch Fischfang heißen) und
il pesce (Fisch). Dass man die Sache nicht verstanden hat, bemerkt man zum Beispiel dann, wenn man in einer Bar einen Pfirsichsaft bestellen möchte und um einen
succo di pesce bittet. In Castel Gandolfo jedenfalls bekommt man an diesem Wochenende Pfirsich in den verschiedensten Formen der Verarbeitung. Pfirsich in Wein, Pfirsich am Spieß in den Schokoladenbrunnen getunkt, schließlich sogar Ravioli mit Ricotta und Pfirsich gefüllt. Schmecken wunderbar mit ein wenig
Balsamico-Essig. Am Rande des Festes hat ein Käseerzeuger seinen Stand aufgebaut. Es gibt
Pecorino romano, ebenfalls eine regionale Spezialität - Hartkäse aus Schafsmilch, handgemacht und gereift in verschiedenen Hüllen - in Asche, in Pressrückständen aus Oliven, in Stroh oder,
ubriaco (besoffen), in Rotweintrester.
Schließlich noch eine letzte Tour nach Nemi, an den Kratersee. Törtchen essen mit Zitronencreme und Walderdbeeren. Die berühmten
Fragoline bekommt man hier den ganzen Sommer über, allerdings werden sie kaum noch wild gesammelt, sondern in Folienzelten am Seeufer
gezogen. Die
Pasticcherie haben noch mehr zu bieten - die Neigung zu eher trockenem Gebäck ist allerdings nicht jedermanns Sache. Wir holen uns
Bruti ma Buoni, in der Faust geformte Nusskekse.
Dann in eine
Norcineria, Salami kaufen. Hier hängt der Himmel voller Schinken. Es gibt luftgetrocknete Wurst mit Trüffeln oder Fenchel, es gibt
„Coglioni di mulo“ (Maultierhoden - die Salami heißt aber nur wegen ihrer Form so, sie ist aus Schweinefleisch) und den „Schlagstock des Pastors“. Von all dem nimmt man einen Sack voll mit nach Hause. Dazu 12 Flaschen Wein vom Winzer Lercher, 5 Liter seines Olivenöls und zweieinhalb Kilogramm Kaffee vom
römischen Röster Trombetta. Das versöhnt mit dem Berliner Sommer. Unterwegs durch Österreich wird noch einmal Halt gemacht beim
Mauracher Schnapsbrenner Kostenzer. Die Vorräte an Edelbränden aus Williams-Christ-Birnen und Waldbrombeeren bedürfen dringend der Auffüllung. Dazu noch ein winziges Fläschchen mit Wild-Himbeerbrand, fast so teuer wie Parfüm. Wenn Brenner Kostenzer weiter Preise gewinnt, wird man sich bald nur noch groben Obstler bei ihm leisten können.