„Keine Sorge, wir können heute ohne Probleme fliegen“, verkündet Freizeit-Pilot Rolf Wille, nachdem er aus seinem goldfarbenen Golf I gestiegen ist. Das Auto, noch in seiner Originallackierung, hat mehr als eine halbe Million Kilometer auf dem Zähler. Rolf Wille ist 82.
In einem Hangar des Magdeburger Flughafens steht sein viersitziger
Morane-Tiefdecker. Mit der 500 Kilogramm leichten Maschine startet Wille,
wann immer er kann, zu Rundflügen die Elbe entlang oder Richtung Harz. Großzügig verteilt er Einladungen, ihn dabei zu begleiten. Eine ging auch an die Redaktion von „Hauptsache gesund“. Deswegen stehen Kameramann Frank Menzel, Tonassistent Gregor Vogel und ich heute am Eingang zum Flugfeld und schauen skeptisch auf den Windsack neben der Rollbahn. Der rot-weiße Schlauch zerrt prall gefüllt an seiner Stange. Ein frischer Wind kommt aus Nordwesten und weht quer zur Startrichtung über den Platz.
Rolf Willes Einschätzung des Flugwetters deckt sich folgerichtig nicht ganz mit jener der Kollegen im Tower. Die deuten an, dass sie heute lieber nicht in einen Flieger steigen würden. Und Rolf Wille sei ja nun auch keine 18 mehr. Genau genommen, ist er auch keine 80 mehr. Dem Kameramann und mir wird unwohl. Der Plan war, dass
Frank Menzel während des Fluges von der Rückbank aus mit der großen Kamera dreht und ich mit einer Mini-DV vom Platz neben dem Piloten. Jetzt malt mir Menzel aus, wie Start und Landung bei so starkem Seitenwind ablaufen würden. Der Pilot müsste die Maschine schräg zum Wind stellen, in einen Winkel von bestimmt 30 Grad. Und beim Landen müsste er das Flugzeug rechtzeitig wieder gerade ziehen, damit es sich nicht überschlägt. Ich fühle mich wie ein Neunjähriger, der auf dem Rummelplatz in der Warteschlange zu seiner ersten Achterbahnfahrt steht. Noch könnten wir die Sache abblasen.
Aber Rolf Wille lässt uns dazu keine Zeit. Der Mann mit der Kamera wendet noch ein, dass wir uns doch erst noch ein bisschen kennen lernen wollen. Minuten später sitzen wir in der Kanzel. Die Morane tuckert zur Startbahn. Frank Menzel und ich schauen uns ungläubig an und schütteln über uns selbst die Köpfe. Der Pilot wird, nach 67 Jahren Flugpraxis, hoffentlich wissen, was er tut. Ich untersuche die Panasonic-Mini-DV auf meinem Schoß und beschäftige mich eingehend mit der manuellen Blende.
Dann tourt der Motor hoch. Die Maschine nimmt Fahrt auf und macht schon nach ein paar Metern erste Anstalten, vom Boden abzuheben. Rolf Wille zeigt erfreut auf ein Kaninchen, das über die Bahn rennt. Anschließend dreht er das

Flugzeug etwas in den Wind. Wir driften schräg knapp über der Startbahn dahin und schaukeln dabei wie ein Kinderdrachen. Der Kameramann ruft von hinten: „Genau das habe ich gemeint!“. Klingt das jetzt mehr nach Entsetzen oder nach Triumph, weil er recht behalten hat? Es ist ohnehin zu spät. Wir knattern über die B 71 und sacken über dem sattgrünen Getreidefeld dahinter abrupt nach unten. Rolf Wille gibt irgendeine Erklärung ab, die ich nicht verstehe. Es geht um Windschutzstreifen, Bodenwirbel und die Thermik. Wenig später haben wir eine Höhe erreicht, von der ich nicht weiß, ob ich sie für beruhigend oder beängstigend halten soll. Beruhigend, weil wir hier oben kaum mit einem Hindernis kollidieren dürften. Beängstigend, weil es doch ziemlich weit bis zum Boden ist.
Auf dem Armaturenbrett kleben handgeschriebene Zettel mit Daten zu den nächstgelegenen Flughäfen. Außerdem steht dort „Kunstflug + Trudeln nicht erlaubt“. Vielleicht wäre das ein Anlass, erleichtert zu sein.
Es geht über Olvenstedt und über das Autobahnkreuz nördlich von Magdeburg. Wir ziehen einen Kreis über die alte Elbe. Rolf Wille hat die ganze Zeit etwas zu erzählen, aber der Motorlärm löscht die Worte aus. Ab und zu nimmt der Pilot die Hände vom Steuerknüppel,
tupft sich mit einem Taschentuch die Nase ab oder deutet nach links oder rechts. Ich habe mit dem Schärfering der Kamera zu tun. Neben mir mäandert ein Riss durch das Plexiglas der Kanzel, den der Pilot mit Klebstoff notdürftig repariert hat. Ich versuche, nicht an die Landung zu denken.
Über die Elbe zurück, dann rückt die Landebahn in Sicht. Hilft jetzt Beten? Ein paar hundert Meter vor dem Beginn des Asphalts fasst uns der Wind und drückt uns nach links. Kurz sieht es so aus, als sollten wir im Gras aufsetzen. Dann zieht Rolf Wille den Flieger zurück in die Mitte die Bahn. Wir schaukeln wieder, als hingen wir an einem Mobile. Ich lehne mich nach vorn, um den krachenden Stoß aufzufangen, der jetzt kommen müsste. Doch dann: Der Pilot dreht seelenruhig die Maschine gerade und lässt die Räder sanft Kontakt mit dem Boden aufnehmen. Eine butterweiche Landung. Wir rollen aus. Das war‘s schon? Ich drehe mich zum Kameramann um, der ein zähnefletschendes Grinsen im Gesicht hat. Er richtet das Objektiv auf mich und fragt, ob ich jemanden grüßen möchte. Ich sage: „Ja, meine Oma. Im Himmel. Ich komme noch nicht.“
Später wird Rolf Wille sagen, dass er schon 2000 Landungen
mit dieser Maschine hinter sich hat. Noch später spricht er von 3000. Es ist nicht wichtig.
Wir reden dann noch über Dinge wie Angst (die Rolf Wille nicht kennt, sagt er) und Alter (das Rolf Wille nicht spürt). Er hat gerade wieder mit fliegenden Fahnen seine Tauglichkeitsuntersuchung bestanden, die von einem Piloten seines Jahrgangs halbjährlich verlangt wird. Bluthochdruck, Diabetes, Kreislaufleiden - alles Fremdwörter. „Mir geht es fabelhaft. Wumm!“ bekräftigt er. So richtig krank war er sein Leben lang nie. Willes Rezept: „Man möge nicht rauchen, man möge nicht unmäßig Alkohol trinken, man möge Sport betreiben, und man möge, wenn es irgendwie geht, nicht allzu viel essen, dass kein dicker Bauch angefuttert wird. Und wenn es irgendwie möglich ist, möchte man doch so wie ich 50 Liter Blut spenden. Natürlich nicht auf einmal.“
Die „Hauptsache-Gesund“-Sendung mit dem Porträt über Flieger Wille läuft unter dem Titel „Im Alter fit leben“ am Donnerstag, den 11. Juni, um 21:00 Uhr.