Heisser Stuhl
Heisser Stuhl
Mittwoch, 13. August 2008
Das Ding nennt sich „Bockerl“. Wie der kleine Bock. Angeblich hat das mit einer in Bayern volkstümlichen Bezeichnung für einen einkufigen Rodelschlitten zu tun. So etwas erzählen einem jedenfalls die Erfinder des Gefährts, wenn man sie fragt. Das tat ich für „Einfach genial“ vor fünf Jahren. Thomas Eimannsberger und Hans Gschwendtner betreiben in Bad Tölz eine Werkstatt für orthopädisches Schuhwerk. Offenbar waren sie damit nicht ganz ausgefüllt. So haben sie das Bockerl erfunden, mit dem man, nachdem man es einen Berg hinaufgetragen hat, erstaunlich schnell wieder unten im Tal ist. Drei Räder, hintereinander angeordnet, ein Schalensitz aus Metall, eine kurze, starre Haltestange für die Hände. Das, wie jeder Anfänger bestätigen wird, wichtigste Bauteil ist eine kräftig zupackende Scheibenbremse.
Ich habe das Vorgespräch mit den beiden Erfindern als meine bisher anstrengendste Recherche in Erinnerung. Nicht, weil die beiden Bayern so verschlossen gewesen wären. Ganz im Gegenteil. Aber sie nötigten mich, ihr Sportgerät persönlich auszuprobieren. Dazu führten sie mich zunächst eine knappe Stunde lang den Blomberg bei Bad Tölz hinauf, immer bemüht, mich in einem regen Gespräch zu halten. Als ich dann komplett außer Atem war, ließen sie sich überzeugen, endlich die Abfahrt zu beginnen.
Und die war nicht weniger geeignet, den Untrainierten zu blamieren. Man sitzt auf dem Bockerl mit nach vorn gestreckten Beinen und fasst unter den Oberschenkeln an die Handgriffe. Halb aufgerichtet - Profis begeben sich in eine entspanntere Liegehaltung - und mit auf dem Boden schleifenden Hacken rollt man dann den Forstweg hinab. Nach spätestens 500 Metern allerdings melden sich unmissverständlich die Bauchmuskeln. Absteigen, Pause. Es braucht ein paar Anläufe, bis man das Bockerl auf Kurs zu halten vermag und auch eine längere Abfahrtstrecke durchsteht. Mit reichlich Neid schaut man auf die beiden Erfinder, die sogar Slalomlinien hinbekommen und an Wegunebenheiten beeindruckende Schanzensprünge vollführen.
Der Charme des Bockerls als Sportgerät besteht darin, dass man es rasant fahren kann und dabei trotzdem halbwegs sicher unterwegs ist. Der Grund dafür ist simpel - man sitzt bodennah. Wenn man mal runterfällt, fällt man nicht tief. Und dann auch meist nicht auf den Kopf, sondern auf den Hintern. Außerdem lässt sich die Fahrt ganz gut mit den Füßen stabilisieren. Anfangs behält man mit den Schuhen ohnehin lieber Bodenkontakt. Damit ist Bockerl fahren eine zuverlässige Möglichkeit, sich die Sohlen zu ruinieren. Outdoor-Schuhwerk, so mein Vorschlag, sollte grundsätzlich bei einer Bockerl-Abfahrt auf Abriebfestigkeit getestet werden.
Erfahrene Piloten wie Gschwendtner und Eimannsberger nehmen bei der Talfahrt natürlich die Füße hoch. Dann werden sie schnell. Richtig schnell. Auf glatter Straße erreichen sie schon mal siebzig Stundenkilometer. Wir haben das gemessen, als wir mit dem Teamfahrzeug vorausfuhren und der Kameramann aus der Heckklappe die beiden Fahrer filmte. Respekt.
Mittlerweile wird das Bockerl in Serie produziert. Es gibt - zurück zu den Wurzeln - nun auch eine Version mit Kufe für die Winterabfahrt. Es gibt Clubs (hier auch) und Turniere. Es gibt Kurse und Verleihfirmen. Trotzdem wird man, wenn man mit dem Bockerl auf dem Buckel in die Seilbahn steigt, mit offenem Mund angestaunt. Erst recht dann, wenn man bei der Abfahrt an Spaziergängern vorbeirast. Man fühlt sich um etliches cooler als ein Mountainbiker. Jedenfalls so lange, bis man über einen allzu großen Stein in der Wegmitte springt und links vom Pfad in die Nesseln einschlägt.
Rollschuh mit Sitz.