Wenn man bei „Da Franco“ am Leipziger Waldplatz zu Abend isst, kommt man auf Gedanken. Und auf die eine oder andere gute Idee. Zum Nachtisch gab es panna cotta mit Heidelbeeren, die in Grappa eingelegt waren. Mit der Rechnung kam ein Glas von der Grappa, die vorher die Heidelbeeren enthielt. Da fiel mir ein, dass man so etwas doch auch im Küchenschrank zuhause haben könnte.
Also setzte ich mich heute morgen ins Auto und fuhr ins Blaubeerland. Das liegt in diesem Falle nördlich von Berlin
, aber ich werde den Teufel tun und geografische Einzelheiten preisgeben. Wahre Sammler üben striktes Stillschweigen, was ihre Fundorte angeht. Mein Freund Tom hat das auch verinnerlicht und will mir leider schon seit Jahren nicht verraten, wo er seine Steinpilze herholt.
Allerdings ist das Pflücken von Blaubeeren so ziemlich die frustrierendste vorstellbare Erntemethode. Es vergeht eine halbe Stunde, ehe auch nur der Boden des Korbes bedeckt ist. Sicher, es gäbe zwei Wege, die Sache erfreulicher zu gestalten. Zum einen könnte man das Pflücken auf eines der zahlreichen Felder mit Kulturheidelbeeren verlegen. Deren Sträucher wachsen auf eine rückenfreundliche Höhe, und die daran hängenden Früchte sind beinahe kirschgroß. Leider schmecken sie praktisch nach nichts.
Zum anderen könnte man sich bei der Wildheidelbeerernte
einer so genannten
Raffel bedienen. Das ist eine Art Kamm, mit dem man die Beeren einfach abstreift. Allerdings führt dieses Verfahren notwendig auch zur Entlaubung der Sträucher und ist daher als grob unsportlich abzulehnen.
Also hocke ich mich mit krummem Buckel zwischen die Zwergsträucher und zupfe die Beeren einzeln ab. Würde ich über eine Armee von Sklaven gebieten, könnte ich die an meiner Statt in den Wald jagen, um für mich zu pflücken. Würde passen, denn laut Plinius hat man Heidelbeersaft im alten Rom zum Färben von Sklavengewändern verwendet.
So bin ich aber allein und motiviere mich mit der Aussicht auf schwer aromatische Marmelade und eingezuckerte Blaubeeren mit Milch.
Die Beeren sind bereits überreif, einige fallen von selbst herab, andere zerplatzen beim Anfassen oder sind schon von Schimmel bedeckt. Die an den jüngeren Sträuchern sind etwas größer und laufen zum Stiel hin spitz zu. Zwischen den Heidelbeeren stehen auch ein paar Preiselbeerpflanzen, aber deren Beeren reifen erst in einem Monat.
Nachdem ein Korb
mit einem knappen Kilogramm gefüllt ist, fallen mir ein paar Blaubeerlegenden ein. Gegen Durchfall sollen sie wirken, und die farbgebenden
Anthocyane gelten als Radikalfänger und Helfer gegen Entzündungen. Die Vogtländer, bei denen die Heidelbeeren nicht Blau- sondern Schwarzbeeren heißen, beteuern: „In der Schwarzbeerenzeit hat der Arzt keine Leit‘.“ Außerdem erklären sie einem gern: „Blaubeeren heißen hier Schwarzbeeren, und wenn sie rot sind, sind sie noch grün.“ Beides erfuhr ich schon vor Jahren bei einem Dreh bei Familie Ebert aus Zwota. Isolde Ebert ist Kräuterfrau, schreibt Stücke für das Volkstheater und macht Sendungen beim
„Vogtland Regional Fernsehen“.
Drei Stunden später sind zwei Körbe voll. Das reicht für fünf kleine Gläser Marmelade, die mit dem Etikett „Premium“ ausgezeichnet werden und nur bei besonderen Gelegenheiten verzehrt werden dürfen. Ein halbes Kilogramm kommt in eine Flasche und wird mit Grappa aufgegossen. Für später. Und ein trauriger Rest kann tatsächlich eingezuckert werden, um ihn gleich und jetzt frisch zu essen. Der Geschmack schickt mich auf eine kurze Zeitreise knapp 35 Jahre zurück. Familienurlaub und Blaubeersammeln, das gehörte zusammen. Und das Buch „Hänschen im Blaubeerwald“ war schon immer der Begleiter.
Schöne Geschichte: Keine Sklaven, sondern eine Zwergentruppe, die einem Jungen beim Blaubeerpflücken hilft und den zweiten Korb mit Preiselbeeren füllt. Was ich erst jetzt lese - das
Buch kommt ursprünglich aus Schweden und trägt den wundervollen Originaltitel "Puttes äventyr i blåbärsskogen". „Putte“ ist dabei wohl aber nicht die schwedische Entsprechung von „Hänschen“, sondern bedeutet soviel wie
„Steppke“, also „kleiner Junge“. Blaubeeren bilden.