Die Schweden haben der Welt das Dynamit geschenkt, das Bücherregal „Billy“ und den Song „Waterloo“. Nicht wenige unserer skandinavischen Freunde sind aber der Ansicht, für den Ruhm des Landes habe niemand mehr getan als Carl von Linné. „Mister Flower Power“ nennt man ihn stolz. Er gilt als großer Systematiker, als „Buchführer der Natur“ und „Lotse der Schöpfung“ (FAZ.net). Heute vor 301 Jahren wurde er geboren.
Was wiederum bedeutet, dass die Schweden im Vorjahr den 300. ihres großen Sohnes feiern konnten. Sie taten das mit allem gehörigen Aufwand. Es gab eine Sonderbriefmarke, und zu den Feierlichkeiten flogen Japans Kaiser Akihito sowie der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan ein.
„Hauptsache gesund“ nahm das Jubiläum zum Anlass, in der Sendung „Grüne Apotheke“ (21. Juni 2007) ein
Porträt des alten Schweden auszustrahlen. Im MDR-Wissenschaftsmagazin
ECHT (10. Juli 2007) gab es eine erweiterte Version des Beitrags. Ich hatte das Glück, mit dem exzellenten Kameramann Stefan Thissen an Linnes Geburtsort reisen zu können, ins südschwedische Råshult. Anderthalb Drehtage bei bestem Wetter und in den freundlichen Händen von Inger Arvidsson, die das Kulturreservat
„Linnés Råshult“ betreut. Eine Art Museumshof, den man ganz in Linnes Zeitalter zurückversetzt hat. Die Felder werden mit dem Pferdepflug bestellt, die Beete sind nach historischen Vorlagen angeordnet, in einigen der torfgedeckten Hütten gibt es keinen Strom. Was ein Fernsehteam bei Innenaufnahmen durchaus vor Probleme stellen kann. Bei der Zeitreise ins 18. Jahrhundert begleitete uns ein Darsteller im historischen Kostüm, der hingebungsvoll an Blüten roch, deren Staubblätter zählte und die Resultate in sein Notizbuch kritzelte.
Mister Flower Power kam offenbar aus kleinen Verhältnissen. Carl Nilsson Linnæus war Sohn eines lutheranischen Hilfspfarrers, der die Gemeinde von Stenbrohult am nahe gelegenen See Möckeln betreute. Um von hier aus die Welt mit einer Idee zu erobern, brauchte es mehr als Fleiß. Zum Beispiel die Überzeugung, sich auf einer göttlichen Mission zu befinden. Tatsächlich fühlte Linné sich berufen. Er hielt sich selbst immer für einen großen Geist. Und er hatte die Begabung, sich und seine Theorien gut zu verkaufen.
Bill Bryson schreibt in seiner „Kurzen Geschichte von fast allem“ über den Schweden: „Seine Freizeit verwendete er größtenteils darauf, lange, schmeichelhafte Berichte über sich selbst zu verfassen. Darin erklärte er, es habe ‚nie einen größeren Botaniker oder Zoologen gegeben‘ ... In aller Bescheidenheit schlug er vor, sein Grabstein solle die Inschrift Princeps Botanicorum tragen - „Fürst der Botaniker“.
Dabei begann Linnés Karriere alles andere als schillernd. Der junge Mann galt als faul. Er schwänzte den Unterricht und streifte durch die Wiesen. Fleiß widmete er nur den Pflanzen
. Er sammelte, ordnete, und er merkte sich jeden Pflanzennamen. Mit den volkstümlichen Bezeichnungen für Löwenzahn oder Hahnenfuß ging das noch einfach. Doch später, als aus dem trägen Schüler dann doch noch ein studierter Mediziner geworden war, stieß Linné auf ein Problem. Eindeutige wissenschaftliche Namen für die Gewächse, die auch international galten, die gab es nicht. Jeder Botaniker umschrieb eine Pflanze anders, mit bis zu 20 Begriffen. Dr. Martin Freiberg vom Leipziger Botanischen Garten erklärt das am Beispiel des Großen Alant,
Inula helenium L.: „Man hätte dann so frei übersetzt gesagt - die 1,80 m große Pflanze aus Österreich, die besonders große Blätter mit wollenen Blattunterseiten und braun gefärbten Hochblättern hat und deren Blütenköpfchen bis zu 5 Zentimeter Durchmesser haben, das Ganze natürlich auf Latein.“
In der Botanik und auch in der Zoologie herrschte also komplettes Chaos. Hinzu kam – auf den großen Forschungsreisen des 18. Jahrhunderts wurden fast täglich neue Arten entdeckt. Ein wachsendes Gestrüpp an Wissen versperrte die Sicht auf die innere Ordnung in Gottes Schöpfung.
Linné spürte den göttlichen Auftrag, diese Ordnung zu finden. Er wollte den Pflanzen Namen geben und klären, wie sie verwandt sind. Dazu unterschied er sie nach dem Bau der Blüten, nach der Zahl ihrer Staubblätter und Stempel. Verwandte Gewächse müssen ähnliche Blüten haben, meinte er. Und hatte dann eine unerhörte Idee. Er beschrieb jede Blüte als Ehebett. Die Frauen, die Blütenstempel, vermählten sich hier drin mit den Männern, den Staubgefäßen. Noch einmal Dr. Freiberg: „Linné war Sohn eines protestantischen Pfarrers, und da gehörte es sich,
dass ein Mann mit einer Frau im Bett ist. Jetzt gibt es aber Blüten, da sind fünf Frauen mit einem Mann drin. Und es gibt andere Blüten, da sind zehn Männer mit zwei Frauen drin. Also Polygamie.“
Pflanzen haben folglich freien Sex – zu Linnés Zeiten eine skandalöse Behauptung. Der Botaniker wurde von Kollegen angegriffen, beschimpft, verlacht. Selbst der große Goethe, von Linnés Lebensleistung eigentlich beeindruckt, gab sich indigniert (siehe hier) und witterte überall „vage Lüsternheit“. Und der Papst setzt Linnés Hauptwerk Systema Naturae auf den Index.
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