Ich finde es bemerkenswert, über wie wenige Dinge man konzentriert nachdenken kann, wenn man durch den Park joggt oder Auto fährt. Gestandene Filmregisseure entwickeln angeblich ganze Drehbücher, während sie hinter dem Lenkrad sitzen und ihre Ideen in ein Diktiergerät sprechen. Ich halte das für eine Legende. Schon der Schriftsteller Douglas Coupland hat festgestellt, dass das menschliche Gehirn bei an sich lächerlichen Routineaufgaben - Spur halten, Gang wechseln - bereits erstaunlich ausgelastet ist. Wann immer man im Auto telefoniert oder auch nur einen anderen Radiosender auswählt, verlangsamt man unwillkürlich das Tempo oder driftet Richtung Leitplanke ab.
Bei jeder körperlichen Anstrengung, die intensiver als ein Spaziergang ist, passiert mir etwas Ähnliches. Ich habe es zwar schon geschafft, mir bei der Pilzsuche die Grundidee eines Beitrags auszudenken - nein, Pilze habe ich seinerzeit nicht gefunden -, doch beim Jogging klappt so etwas nicht. Da ist dann sofort der Atemrhythmus hin und ich bekomme
Seitenstechen. Außerdem werde ich nicht locker, wenn ich mir zum Laufen Arbeit mitnehme.
Heute war ich nach Wochen das erste Mal wieder im Schlosspark unterwegs. Man macht die üblichen Beobachtungen - Rudel von nicht angeleinten Walkern, japsende Kläffer beim Apportieren, gehetzte Radler. Nebenbei nimmt man wahr, was die Verarbeitungsmöglichkeiten des Gehirns eben zulassen. Ein paar Körpersignale drängeln sich vor. Die ziehenden Schmerzen an der Außenseite der Unterschenkel. Die lauter werdende Forderung „Koh-len-hy-dra-te!“, die der Organismus im Takt der Schritte stellt. Dazu wird die Vorstellung einer Scheibe Toast mit Heidelbeermarmelade quälend konkreter.
A
ber hin und wieder dringt auch das eine oder andere Bild vom Park durch. Der Graureiher sitzt hoch oben auf dem Plateau eines abgesägten Lindenastes. Eines der Eichhörnchen ist da. Die Krokusse auf den Pankewiesen sind verblüht und werden ersetzt durch Teppiche eines gelb blühenden Liliengewächses, das ich für Wiesen-Goldstern halte. Die Schneebeerensträucher haben schon frische Blätter. Ein riesiger alter Ahorn ist abgesägt worden. Im Stumpf eines anderen Baumes wachsen Narzissen.
Es gelingt mir dann doch, ein paar einfache Pläne zu schmieden.
Nichts von großer Bedeutung. Ich bestätige mir, dass ich im Frühling die Brombeervorkommen in Leipzig genauer erkunden sollte. Außerdem möchte ich endlich mal wieder in die Blaubeeren fahren, in die Ruppiner Heide. Diesen Herbst müssen wieder Schlehen gesammelt werden. Und bis zur Holunderblüte ist es auch nicht mehr so weit. Kann man nicht auch Robinienblüten mit Sekt aufgießen? Und sollten beim Brotbacken am Wochenende vielleicht einmal frische junge Brennnesseln eingeknetet werden? Der Mann vom Balkon nimmt sich zusammen und fasst das Training fester ins Auge. Schließlich soll es im Sommer auf einen Halbmarathon gehen. Heute ist erst einmal nach lächerlichen sechs Kilometern Schluss.