Ein seltener Vogel
Ein seltener Vogel
Donnerstag, 28. Februar 2008
Ich habe ein bisschen den Anschluss verloren, was die Veröffentlichungen der „Einstürzenden Neubauten“ nach zirka 2000 angeht. Damals kaufte ich mir „Silence is Sexy“ und verlor das Interesse. Dann saß ich vor einigen Wochen vor dem Fernseher bei einer Folge von „C.S.I. - Den Tätern auf der Spur“. Die Fahnder gruben eben das Skelett einer ermordeten Frau aus, und im Soundtrack - eine wiederholte langsame Bassfigur zu schleppender Perkussion - tauchten gemurmelte deutsche Wörter auf. Als Grissom und Warrick den Sand vom Schädel der Leiche pinselten, wurde das mit einem seltsamen Vogelschrei des Sängers unterlegt. Ich war elektrisiert. Das waren die Neubauten, kein Zweifel. Eine kurze Suche bei iTunes führte mich zum Album „Perpetuum Mobile“ und zum Song „Ein seltener Vogel“.
Seitdem habe ich „Perpetuum Mobile“ und dessen aktuellen Nachfolger „Alles wieder offen“ mehrfach durchgehört. Da spielt natürlich eine andere Band als die Neubauten von „Kollaps“ oder „Zeichnungen des Patienten O. T.“. Diese manische Unbedingtheit der Anfangsjahre ist weg. So etwas ist nicht 28 Jahre lang durchzuhalten. In den 80er Jahren liefen Neubauten-Stücke - da Begriff „Song“ musste an diesen Soundgebilden stets abrutschen - auf meinem roten Sony-Walkman. In der S-Bahn zwischen Strausberg-Stadt und Berlin und wieder zurück - länger reichten die Batterien nie - rauschten „Neun Arme“ und „Kein Bestandteil sein“ aus den Kopfhörern, als Ahnung von einem Kunst- und Lebensentwurf, der komplett fremd war und zugleich der einzig richtige schien. Dazu brachte die Großmutter aus Westberlin das Vinyl von „Halber Mensch“ mit - schon eine bizarre Vorstellung, dass die alte Dame am Tresen von WOM nach den „Einstürzenden Neubauten“ fragte.
Inzwischen ist die Band komfortabel entfernt von musikalischen Extremen. Wohlbehalten angekommen im Bildungsbürgertum, aber das sind wir ja alle. „Perpetuum mobile“ klingt vor allem gepflegt, nur hin und wieder dissonant; und bei „Alles wieder offen“ hört man wirkliche Lieder - die schöne Single „Nagorny Karabach“ zum Beispiel. Ein bisschen platt ist das manchmal. Ging es früher um Sehnsucht als einzige wahre Energie und um den Tanz des Zentralen Nervensystems, beschreibt man sich heute im „Selbstporträt mit Kater“ (im „Perpetuum“). Und trivial geht aus auch in „Weil weil weil“ weiter: „Lass dir nicht von jenen raten / die ihren Winterspeck der Möglichkeiten / längst verbraten haben“. Wahrscheinlich in einer bulthaup-Küche.
Doch dann gibt es eben auch den „seltenen Vogel“. Den Song zum Leichenfund. Mit den wunderbaren Zeilen über all jene, die nach dem Regen nicht mehr dabei sind. Da hatten sie mich wieder, die Neubauten. Die seltensten Vögel, die einmal fast auf meinem Balkon saßen, waren übrigens ein paar Seidenschwänze, die vor zwei Wintern eine kurze Rast in der Birke vor dem Haus eingelegt hatten. Und der Neubauten-Track lief nicht nur bei „C.S.I.“, sondern wenig später auch in einem meiner Beiträge zum Thema „Entzündungsvorgänge bei der Alterung des Herzens“.
„Jetzt fängt es endlich an zu regnen / und hört überhaupt nicht mehr auf / Nach dem Regen sind nicht mehr alle dabei / z. B. / das Pteranodon ist nicht mehr dabei / z. B. / Archaeopteryx ist nicht mehr dabei / z. B. / ... Sowieso sind nach dem Regen die meisten nicht mehr dabei“ („Ein seltener Vogel“)