(Beipack-)Zettel, die wir lieben (2)
(Beipack-)Zettel, die wir lieben (2)
Montag, 3. November 2008
Zu den Privilegien eines Fernsehautors gehört es, dass er gelegentlich an Orte kommt, die anderen nicht zugänglich sind. In der Porzellanfabrik Kahla ist es, unter anderem, das Arbeitszimmer der Hausdesignerin, das Besuchern gewöhnlich verschlossen bleibt. Barbara Schmidt hat einiges dafür getan, den ehemaligen Volkseigenen Betrieb Feinkeramik vom trutschigen Zwiebelmuster-Image zu befreien. Natürlich ist dieses klassische Dekor nach wie vor im Angebot, aber wer heute an Kahla-Geschirr denkt, der sieht vor allem elegante, ungewöhnlich geformte und dabei höchst praktische Porzellanserien in Weiß vor sich. Regelmäßig holt Barbara Schmidt mit ihren Entwürfen renommierte Designpreise heim. Und Serien wie „Five Senses“ entstanden eben in diesem rettungslos vollgestellten Arbeitszimmer mit seinen gipsverkrusteten Tischen im ersten Stock, direkt über dem Werksmuseum.
Und dort waren alle Beteiligten sofort hell begeistert von einer kurzen Notiz, die auf einem über den Arbeitstisch gehefteten Zettel stand. „Bitte die Tische NICHT reinigen, bitte NIEMALS Bruchstücke wegwerfen!“ bat „B. Sch.“ mit Nachdruck einen unbekannten Adressaten. Neun Zeilen in schwarzem Filzstift bloß, aber zugleich eine ganze Geschichte. Eine Geschichte von Ideen, die zum Keimen so etwas wie Humus brauchen und denen aufgeräumte Schreibtische viel zu steril sind. Von der Arbeitsweise einer Designerin, die ihre Entwürfe nicht in einer 3-D-Software modelliert, sondern mit den Händen aus Industriegips. Und von irgendjemandem, dem all das offenbar nichts galt. Welche Dramen hatten sich hier wohl abgespielt?
„Ach ja, der Zettel ...“, schrieb mir Barbara Schmidt ein paar Tage später. Wie es aussieht, gab es bei Kahla mal eine Reinigungskraft mit „hohem Berufsethos“, die angesichts der allfälligen schöpferischen Unordnung offenbar Seelenqualen litt. Bruchstücke der Gipsmodelle - „auch die von mir selbst produzierten“, sagt die Designerin - landeten regelmäßig im Müll, obwohl man sie hätte kleben können. Nun, der Zettel und der prächtig unaufgeräumte Zustand des Büros erlaubten uns den Schluss, dass sich Frau Schmidt in diesem Konflikt wohl durchsetzen konnte. Was uns übrigens wirklich erleichtert stimmte.
Alle fünf Sinne beisammen. Five Senses. Zuckerhut.