Der märchenhafte Sommer 2006 ließ meine Nachbarn erstaunt entdecken, dass dieses Land ja über eine Nationalflagge verfügt. Allerdings bemerkten sie dabei auch, dass ihnen zum Hissen der Fahne ein notwendiges, in Ostberlin lange selbstverständliches
Utensil fehlte - der Fahnenhalter am Fensterrahmen. Die
WBS-70-Wohnblöcke in Lichtenberg, zwischen denen ich aufwuchs, besaßen als Grundausstattung neben Badheizstrahler, Müllschlucker und Blumenkastenrahmen sämtlich einen oder mehrere Fahnenhalter. Und die Fahne mit dem Emblem gehörte eben zum Haushalt, um sie an jedem
ersten Mai und an jedem
siebten Oktober pflichtgemäß ans Fenster zu stecken.
Vor allem entlang der so genannten
Protokollstrecke - jener Route also, welche die Regierenden täglich Richtung Wandlitz nahmen - waren auch die älteren Gebäude durchweg mit
Fahnenhaltern ausgestattet. Und weil die Zufahrt zu Honeckers Gästehaus, dem Schloss Schönhausen, ebenfalls reich beflaggt werden musste, trugen auch alle Häuser in der Pankower
Ossietzkystraße jene Rohre aus Blech. Mir fiel das kürzlich nur deswegen auf, weil an einigen Altbau-Blöcken die Fassadensanierung begann, der die Fahnenhalter - hier nicht an den Fensterrahmen, sondern tatsächlich auf die Mauer geschraubt und mit Putz kaschiert - natürlich alle zum Opfer fallen. Ein kleiner fotografischer Abgesang also auf ein halb vergessenes Blechbauteil.
Bei der Suche nach dem Stichwort „Ossietzkystraße“ bin ich übrigens auf eine wundervolle Site über Pankow gestoßen. Traurig, dass Willy Manns daran nicht mehr weiter arbeiten kann - er ist im November gestorben. Maja Wiens kümmert sich um die Seite und sorgt dafür, dass sie weiter online bleibt. Sie hat mich freundlicherweise auf ihr eigenes Blog hingewiesen, und das ist ebenfalls höchst lesenswert.