Hermann und die dreistufige Teigführung
Hermann und die dreistufige Teigführung
Dienstag, 18. Dezember 2007
Ich bin ein aufmerksamer Leser der „Küchengeheimnisse“ von Jürgen Dollase im „Feinschmecker“. Was mich am meisten fasziniert, sind die bizarr pedantischen Hinweise zu Zutatenmengen und Garkonditionen. Da ist dann die Rede von 8 Gramm Knoblauch, die mit 12 Gramm Butter bei 125 Grad in der Pfanne angedünstet werden, während man eine vakuumierte Taubenbrust bei exakt 54,2 Grad Celsius 47 Minuten im Wasserbad ziehen lässt. Ich glaube dem Herrn Dollase sogar, dass er das in langen Versuchsreihen ausgetestet hat. Allerdings macht mich die Lektüre dieser labortechnischen Anweisungen immer auch sehr traurig. Sie erinnert mich an die Nächte, die ich im abgedunkelten Badezimmer beim Entwickeln von Negativen und beim Vergrößern von Fotos verbrachte. Beim Einfädeln der Filme war natürlich auf vollständige Dunkelheit zu achten, die man höchstens durch den Einsatz einer speziellen Leuchte mindern konnte. Diese war mit einer 15-Watt-Glühbirne zu betreiben und mit dem Filter 108 (dunkles Dunkelgrün) zu bewehren, und ein Mindestabstand von 75 Zentimetern war selbst bei indirekter Bestrahlung ebenfalls einzuhalten. Dazu die penibel zu befolgenden Mischungsverhältnisse von Entwicklerkonzentrat und Wasser und die je nach Temperatur sich verlängernden oder verkürzenden Entwicklungszeiten. Voller Neid schaute ich auf einen Bekannten, der die Entwicklerlösung gern „nach Geschmack“ verdünnte - also so viel Wasser dazu kippte, bis kein Eigengeschmack mehr wahrnehmbar war - und dann mit Entwicklungszeiten von mehreren Stunden zu besonderer Feinkörnigkeit des Materials gelangte. Das hätte ich mich nie getraut.
Noch komplizierter wurde die Angelegenheit, als ich mit dem Prozessieren von Farb-Umkehrfilmen begann. Man konnte das Material natürlich auch beim örtlichen Dienstleistungszentrum abgeben, aber dann dauerte es regelmäßig vier Wochen, bis man die zu einem Acetat-Zigarillo gerollten Filme wieder abholen konnte. Also versuchte ich es selbst. Das größte Problem war allerdings die genaue Temperierung, schon deswegen, weil die Beschaffung eines aufs Zehntelgrad genau messenden Thermometers sich als höchst anspruchsvoll erwies. Die fertigen Diapositive hatten dann regelmäßig einen kräftigen Violettstich, den man höchstens dadurch mildern konnte, dass man beim Rahmen Folienplättchen in der Komplementärfarbe beilegte.
Zurück zu den Lebensmitteln. Anfang Dezember drehten wir bei Professor Walter Freund, gelernter Konditor und berufener Schokoladentester. Er zeigte uns das „Tempern“ von Kuvertüre - einen Prozess, bei dem Schokolade durch wiederholtes Verstreichen auf einer kalten Platte und Wiedererwärmen im Ofen auf genau 32 Grad - keinesfalls 33 Grad! - gebracht wird. Nur so bringt man das Fett in der Schokolade dazu, auf eine Weise zu kristallisieren, welche der späteren Glasur zu einer glänzenden Oberfläche und zu einem tadellosen Schmelz verhilft. Atemloser Respekt. Irgendwer muss sich diese Technik doch einmal ausgedacht haben - und das womöglich zu einer Zeit, in der an exakte Temperaturmessung noch nicht einmal zu denken war.
Ich habe im Herbst damit begonnen, regelmäßig selbst Brot zu backen - keine konventionellen Laibe allerdings, sondern eher Gebäckstangen, Sauerteig-Croissants und gern auch mal Brötchen in Herzform für besondere Anlässe. Der erste entscheidende Anstoss kam schon im Frühjahr, als ich im Dresdner Institut für Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik drehte und unter anderem Sauerteig-Muffins beim Aufgehen im Ofen zusah. Der kräftige Geschmack, der das Gebäck so deutlich abhob von Mürbeteig- oder Hefeteigvarianten, ließ es sofort bei mir klicken. Als ich dann noch bei einem Essen im famosen Leipziger Stadtpfeiffer Sauerteig-Stangen mit hausgemachter Butter als unwiderstehliches Amuse-gueule serviert bekam, war der Ehrgeiz entzündet, so etwas selbst hinzubekommen.
Weiteres zum Grundkurs Sauerteig steht hier. Und ein paar Rezepte finden sich hier. Was ich für mich noch nicht herausgefunden habe, ist das ideale Mischungsverhältnis zwischen Roggen- und Weizenmehl. Prof. Freund sagte mir dazu, dass es dabei regionale Vorlieben gebe - im Norden überwiege eine andere Mischung als im Süden. Das präge den Brotesser von Kindheit an. Und wer mal innerhalb Deutschlands verzogen sei, der verbringe oft Jahre damit, den typischen Brotgeschmack seiner Ursprungsgegend wieder zu finden. Dieses Problem habe ich nicht, weil ich fast immer in Berlin gewohnt habe. Allerdings bin ich auf der Suche nach dem ursprünglichen Joghurtgeschmack. Der scheint jedoch auf immer verloren zu sein, seitdem, wie es scheint, in allen Meiereien Deutschlands nur noch Kulturen der Gattung „Joghurt mild“ verarbeitet werden. Womöglich ein Zugeständnis an den Massengeschmack, dem die kräftige Säure des Joghurts, wie ich ihn kenne und liebe, nicht zumutbar schien. Meine Hoffnung - wo es geboten erscheint, die verwendete Joghurtkultur mit dem Attribut „mild“ besonders zu kennzeichnen, muss es vielleicht doch noch andere Sorten geben, die eben „nicht mild“, „herb“ oder „edelsauer“ sind. Sachdienliche Hinweise werden mit einer ausdrücklichen Erwähnung belohnt.
Sauerteig, stangenweise.