Kann nicht sein
Kann nicht sein
Freitag, 14. Dezember 2007
Handwerker, Tonassistenten und Netzwerk-Administratoren haben eines gemeinsam. Man fasst sie grob unter dem Dachbegriff „Dienstleister“ zusammen. Leider vergisst man dabei meist, dass alle drei Berufsgruppen sich gern damit beschäftigen, Probleme zu lösen, die wir ohne sie nicht hätten. Zum Selbstbild der Dienstleister gehört, dass sich zwischen ihnen und dem Rest der Welt ein tiefer, wassergefüllter Graben auftut. Während sie selbst die Insel der Weisheit bewohnen, dämmern wir anderen auf dem Kontinent der technischen Unbedarftheit dahin. Dies wird uns selten so ausdrücklich mitgeteilt. Meist verdeutlichen uns die Dienstleister ihre Auffassung von der Wirklichkeit mit zwei Formulierungen. Eine heißt „Kann nicht sein!“, die andere „Das muss so sein!“.
Diese Kommunikationsstrategie kann man sehr schön bei verschiedenen Handwerkern beobachten. Vor etwa drei Jahren schenkten wir meiner Mutter ein neues Telefon - ein „Endgerät“, wie es ja korrekt heißen muss - mit integriertem Anrufbeantworter. Wir schoben den Anschlussstecker in die dafür vorgesehene Dose. Auch hier liefere ich gern die amtliche Bezeichnung nach - „TAE-Dose“ oder, ausgeschrieben, „Telekommunikations-Anschluss-Einheit“. Neben dem Telefon war hier noch das Modem des Computers angeschlossen. Nun trat aber ein verblüffender Effekt auf. Das Nebeneinander von Fernsprecher und Modem war bisher kein Problem gewesen - Mutter besaß ein fast antikes Wählscheibentelefon aus DDR-Zeiten. Wenn ein Anruf einging, klingelte es lautstark. Das war nun nicht mehr so. Das neue Telefon gab kaum ein leises Summen von sich.
Wenn man allerdings den Stecker des Modems aus der Buchse zog, fand das nun allein angeschlossene Telefon plötzlich genug Kraft zum Klingeln. Wir vermuteten erst einen Fehler am Fernsprechgerät und testeten es bei den Nachbarn. Alles in Ordnung. Offenbar war die TAE-Dose nicht in der Lage, sowohl das Modem zu versorgen als auch dem Telefon ausreichend Energie zum Klingeln zu vermitteln.
Wir hatten also den Fehler eingekreist. Eine ganz andere Aufgabe war es allerdings, den Telekom-Kundendienst von der Existenz des Problems zu überzeugen. „Kann nicht sein!“ entgegnete man bei unseren Anrufen. Als es schließlich doch gelang, einen Techniker zu organisieren, stellte dieser mit den Händen in den Hosentaschen zunächst die gleiche Diagnose. Er blieb auch dabei, nachdem wir ihn dazu gezwungen hatten, den Anschluss einmal durchzumessen. Schließlich nötigte meine Mutter den Kundendienstler, die Dose komplett auszutauschen. Das Problem hatte sich mit einem Schlag erledigt. „Kann nicht sein!“, murmelte der Techniker kopfschüttelnd.
Dann wiederum der gemeine Tonassistent*. Angenommen, man bestreitet gerade einen wichtigen Dreh. Es pressiert ein wenig, weil entweder der Interviewpartner zum nächsten Termin muss oder eine nahende Wolkenwand das baldige Ende der Arbeiten in Aussicht stellt. Da geht der Akku der Kamera zur Neige. Der Kameramann tut das kund und hofft, der Tonassistent werde nun für Nachschub sorgen. Das allerdings wird der Tonassistent nicht tun. Er wird entrüstet entgegnen: „Kann nicht sein!“. Dann wird er die Sache persönlich in Augenschein nehmen. Erst, wenn er selbst festgestellt hat, was auch zuvor schon unbestreitbar war, erst dann wird er sich auf den Weg zum vier Kilometer entfernt geparkten Teamfahrzeug machen, um frische Akkus zu holen. Die natürlich auch nur dann tatsächlich geladen sind, wenn am Vorabend irgendjemand in der Produktionsfirma daran gedacht hat.
Schließlich ist da die Trachtengruppe der Netzwerk-Administratoren, zärtlich „Admins“ genannt. Wer kennt ihn nicht, jenen unendlich überlegenen Tonfall, mit dem der ans Telefon geholte Admin nach der Schilderung eines Computerproblems „Das kann nicht sein!“ sagt? Die Betonung liegt dabei selbstverständlich auf dem Wort „kann“. Außerdem spricht der typische Admin diesen Satz mit leicht gebleckten Zähnen. Schon sind wir bereit, ihm lachend zuzustimmen, dass wir den eben erlebten Absturz des Rechners gewiss nur halluziniert haben. Der Admin ist auch nie darum verlegen, uns anschließend auch noch eine minutenlange technische Erklärung zu liefern. Wir verstehen ihn zwar nicht wirklich - und das läge auch gar nicht in seiner Absicht -, sind aber dennoch restlos überzeugt, dass er, der nicht dabei gewesen ist, ein vollständig zutreffendes Bild des Vorgefallenen hat.
Der Admin weiß natürlich auch die zweite Primärwaffe im Arsenal der Dienstleister gekonnt einzusetzen. Es geht um die kühlen Worte „Das muss so sein!“. So ähnlich sagt das ja auch ein Software-Entwickler, der dem verdutzten Kunden fröhlich ein „It‘s not a bug, it‘s a feature!“ entgegen schmettert. Wenn also die Internet-Verbindung des Büros jeden Tag zwischen 14:00 Uhr und 16:00 Uhr lahm liegt, dann wird einem der Admin erklären können, dass dies aufgrund einer wichtigen und höchst sinnvollen Programmfunktion geschehe.
Der Tonassistent wiederum ... aber das schreibe ich morgen auf.
*„gemein“ hier natürlich im Sinne von gewöhnlich, typisch, verbreitet, herkömmlich, durchschnittlich und nicht in der Bedeutung von lumpig, schofelig, schurkenhaft, schäbig, niedrig, roh, knauserig, ehrlos, unanständig, hinterhältig, niederträchtig, gewissenlos. Im übrigen möchte ich an dieser Stelle betonen, dass ich mitunter mit Tonassistenten drehen darf, die nicht in die beschriebene Rubrik fallen.
Gemeiner Tonassistent (rechts) mit Tatwaffe und Opfer (links).