Es gibt keine Stilbibel für den Balkon. Ich bewundere den Garten meiner Freunde, in dem es ein strenges Regiment gibt, was Farben angeht. Was dort blüht, ist weiß oder hat seinen Platz im Spektrum zwischen blau und violett. Obwohl die beiden vieles wachsen lassen, was wachsen will, zeigt der durchgehende Farbcode doch mit unaufdringlicher
Deutlichkeit die Absicht, die sich mit dem Garten verbindet. Wer sich an Salbei und
Veronica vorbei dem Gartenhaus nähert, empfindet eine schöne Balance zwischen dem, was der Garten ganz allein entschieden hat, und dem, was Resultat der gestaltenden Hände seiner Inhaber ist.
Die Gartenfreundin wiederum muss kurz seufzen, wenn ich ihr vom sattgold oder rotorange blühenden Isländischen Mohn erzähle. Vom Klatschmohn, dessen Blüten in den nächsten Tagen aufgehen. Von den warmen Farben der
Coreopsis. Vom Fingerkraut in seinem blendenden Scharlachrot. Vom Löwenmaul in gelb und karmin. Das alles würde nicht in den Farbkanon des Gartens passen. Auf dem Balkon wiederum stehen diese Rot- und Gelbtöne neben dem Purpur der Clematis, dem hellen Lila der Glockenblume und dem kräftigeren Violett des Storchschnabels.
Es ist ungeordnet bunt hier. Hätte ich einen Garten, sähe das ganz sicher anders aus. Dann wäre auch ich versucht, mir, was die Farbe angeht, ein Thema zu überlegen oder zumindest ein paar Regeln für die einzelnen Bereiche des Gartens aufzustellen. So allerdings gebiete ich nur über ein paar Quadratmeter, auf denen blühen darf, was mir gefällt, ohne dass es zueinander passen muss.
Ich bin froh, dass der Balkon mich immer wieder überrascht. Damit zum Beispiel, dass unter den überwiegend pastellfarbigen Wickenblüten einzelne sind, die ein entschiedenes, kraftvolles Burgunderrot aufweisen. Aber auch damit, dass
die Samen der drei aus Italien hergeholten Tomatensorten aufgegangen und zu schon anderthalb Meter hohen Pflanzen geworden sind. Dass der Quittenbaum tatsächlich 12 Früchte angesetzt hat. Allerdings entschloss er sich in der letzten Woche, erst einmal sieben davon wieder abzuwerfen.