Man ahnt ja nicht, was man mit einer
unbedachten Bemerkung bei Twitter anrichten kann. Da erwähne ich einmal, dass ich zur Weihnachtsfeier mit der Familie eine
Charlotte anzurichten gedenke - schon entspinnt sich eine Diskussion um grundverschiedene Charlotten-Philosophien (warm oder kalt), Zubereitungsweisen und Strategien für den gelungenen Umsturz.
@stricktier verwies auf ein
Charlotten-Rezept zum Nachsingen, das meinem Charlotten-Paradigma
komplett entgegen steht. Im Finale des kulinarischen Getwitters wurden von mir
Bilder zum Beleg dafür gefordert, dass ich der Herstellung dieses Desserts überhaupt mächtig bin. Also
versprach ich, die Herstellungsschritte hier zu dokumentieren. Es sei.
Ausschlaggebend für ein auch ästhetisch befriedigendes Ergebnis ist eine Metall- oder Keramikschüssel mit nicht allzu schrägem Rand. Sie sollte so hoch sein, wie ein einzelnes Löffelbiskuit lang ist. Und so groß, dass 20 an der Wand aufgestellte Löffelbiskuits hinein passen. Größer darf sie wiederum auch nicht sein, dann reicht nämlich die Füllmasse nicht aus, und die Charlotte wird zu niedrig. Was beklagenswerter Weise auch in meinem Fall nicht zu verhindern war, weil ich einfach keine wirklich brauchbare Schüssel besitze. So häufig wird Charlotte bei uns nämlich doch nicht verzehrt, was bei der Schilderung der weiteren Zutaten rasch verständlich werden dürfte.
Zunächst werden vier Esslöffel Zucker mit vier Eigelb zu einer schaumigen Creme geschlagen. Dieser wird dann der Saft einer Zitrone zugesetzt.
Man könnte hier auch mit abgeriebener Zitronenschale arbeiten, deren Partikel aber möglicherweise das sahnige Mundgefühl der fertigen Charlotte stören würden. Anschließend kommen je 250 ml Sahne und Milch in die Mischung.
Jetzt ist Zeit für die Gelatine. Das Ursprungsrezept verlangt sechs Blatt, sicherer ist es aber, gleich auf zumindest acht Blatt aufzurüsten. Eine wirklich schnittfeste Charlotte verlangt bis zu zehn Blatt, hat dann aber die unangenehme Konsistenz von Sülze und verliert viel von ihrem Schmelz. Die Gelatineblätter werden erst in kaltem Wasser eingeweicht, dann ausgedrückt und in einem Topf bei schwacher Hitze aufgelöst. In dünnem Strahl unter Rühren in die Eier-Sahne-Masse gießen. Das Ganze muss dann eine halbe Stunde in den Kühlschrank und wird in dieser Zeit halbfest.
Währenddessen fettet man die oben beschriebene Form mit Butter ein, streut sie mit Zucker aus - wichtig, damit sich die Charlotte beim Stürzen gut vom Rand löst - und stellt die Löffelbiskuits auf, mit der gezuckerten Seite nach außen. Außerdem bereitet man die Früchte vor. In diesem Haushalt besteht eine prinzipielle Gegnerschaft zu Dosenobst, also kommt nur
Frischware oder höchstens ein Tiefkühlprodukt in Betracht. Wir haben die Charlotte bereits mit frischen Erdbeeren zubereitet, die dazu nur gewaschen und geviertelt werden müssen. In diesem Falle boten sich Himbeeren an. Auch sie werden vor der Verarbeitung nicht eingezuckert, damit sie nicht vorschnell Saft ziehen und die Charlotte vor dem Umsturz von innen auflösen. Man benötigt etwa 500 Gramm Obst.
Die vorbereitete Creme wird nun noch mit zwei 150-g-Bechern Crème fraîche ergänzt. Ein reichliches Drittel der Masse kommt in die Schüssel und wird mit der Hälfte der Himbeeren abgedeckt. Dann die nächste Schicht Creme, die andere Hälfte der Himbeeren und abschließend der Rest der Creme. Wenn das Verhältnis von Schüsselvolumen zu Schüsselhöhe stimmt, füllt die Masse die Schüssel bis zu den Spitzen der Löffelbiskuits aus. Wenn nicht, hat man Pech und muss die überstehenden Spitzen der Biskuits vor dem Stürzen stutzen. In diesem Falle kann man sich prima vornehmen, bis zum nächsten Mal eine tatsächlich passende Schüssel zu besorgen. Keine Sorge - man wird dieses Vorhaben wenig später wieder vergessen.
Vor dem Stürzen stehen aber erst einmal weitere 12 Stunden Kühlschrank-Aufenthalt für die Charlotte. Bitte dazu abdecken, damit keine Gemüsefach-Aromen
aufgenommen werden. In dieser Zeit bindet die Gelatine die Eier-Sahne-Masse. Dann ist die Zeit reif für den Umsturz. Die Schüssel mit einem Teller abdecken, rasch umdrehen und gespannt horchen, ob sich die Charlotte bei diesem Manöver mit einem sanften „Schwapp!“ vom Schüsselrand löst. Falls nicht, mit vorsichtigem Rütteln nachhelfen. Dann steht sie da, die Charlotte. Ein kurzer Moment des Innehaltens, ein Foto für die Follower unter dem ungastlichen Licht einer fremden Küche, ehe die Verwandtschaft über das Dessert herfällt und es unter unanständigen Beifallsbekundungen - mit vollem Mund! - restlos vernichtet.