Nicht die Bohne
Nicht die Bohne
Freitag, 9. Mai 2008
Im Prinzip sollte es im Frühjahr 2008 nicht allzu schwer sein, in einer deutschen Großstadt einen manierlichen Kaffee zu bekommen. Alle Fußgängerzonen und die Katakomben der Bahnhöfe sind voll mit Café-Bars und Röstereien. Nicht nur Starbucks treibt die Globalisierung des Latte Macchiato voran. Es gibt "Coffee Culture" und "World Coffee", dazu die Filialen der Großröster Lavazza, Illy und Segafreddo. Überdies hat noch jeder Bäcker einen WMF-Espressoautomaten aufgestellt. Selbst die Bulettenbrater beginnen damit, scheißfreundliche Coffee-Lounges einzurichten. Niemand ist mehr gezwungen, vom stundenlangen Warmhalten sauer gewordenen Filterkaffee zu trinken.
In der Provinz werden indessen die letzten Bastionen des Sprühsahne-Cappuccino geschleift. Noch vor sechs Jahren hatte ich beim morgendlichen Umsteigehalt auf dem Bahnhof Gotha ein prägendes Erlebnis. Ich hatte an der Bäckertheke einen Cappuccino bestellt, trügerisch beruhigt vom Anblick einer halbwegs modernen Espressomaschine im Hintergrund. Als ich wieder hinsah, schickte sich die Tresenkraft gerade an, den in die Plastetasse gefüllten Brühkaffee mit einer Sahnehaube zu besprühen. Erschrocken unterbrach ich die Frau und wies auf den vorhandenen Automaten, der doch zur Herstellung eines weltstädtischen Milchkaffees vorzüglich geeignet schien. Nein, wurde mir geantwortet, die Maschine nutze man nur zum Erhitzen des Teewassers. Mit der Gewinnung von Kaffeespezialitäten aus dem Automaten kenne man sich dagegen gar nicht aus.
Ich bin mir einigermaßen sicher, dass mir so etwas selbst in Gotha heute nicht mehr passieren würde. Alle Welt schwärmt von der neu erblühten Kaffeekultur. Die sieht dann allerdings so aus, dass der kulturvolle Kaffeekunde sein überteuertes Heißgetränk im Gehen aus einer Art Schnabeltasse zu sich nimmt. Ein Pappgefäß mit Polystyroldeckel als angemessener Trinkbehälter für die Arabica-Edelröstung? Das weit größere Problem ist allerdings, dass der Kaffee der meisten Bars und Bäckereien auch in Glas- und Porzellangefäßen nicht wirklich besser schmeckt.
Doch das Kernproblem liegt woanders. Punkt Eins - Cappuccino und Latte werden fast überall grundsätzlich zu heiß serviert. Die meisten Vollautomaten sind so justiert, dass sie die Milch nahezu siedend in die Tasse laufen lassen. Das Getränk bekommt dann einen unangenehmen Kochgeschmack. Und selbst in jenen Coffee-Shops, in denen die Baristi angeberisch Thermometer in die Kannen gesteckt haben, wird die Milch gewöhnlich überhitzt. Wenn man das Zeug dann endlich trinken kann, hat sich der Milchschaum bereits komplett aufgelöst.
Punkt Zwei ist der Schaum selbst. Kommt er aus dem Automaten, ist er meist zu grobporig und locker und damit rasch vergänglich. Wird von Hand aufgeschäumt, liegt der Schaum oft wie ein Badeschwamm obenauf, als allzu fester Block, an dem der Kaffee trübe vorbei rinnt, ohne sich noch einmal mit den feinen Blasen zu verbinden. Und das wäre doch gerade das Ziel - ein samtiges Getränk, das nicht dünn wie Wasser aus der Tasse kommt, sondern als sämige Emulsion. Und zwar in Trinktemperatur. Jeder Seitenstraßen-Barista im Mailänder Bahnhofsviertel kriegt das hin. Warum nicht wenigstens die Fachkräfte im Leipziger "Coffee Culture", wo ich mir erst vor kurzem die Zunge verbrüht habe? Reumütig kehre ich da ins „pressoway“ gegenüber vom MDR zurück, wo Inhaber Max die Fahne der wahren Kaffeekultur noch hoch hält.
Coffea Arabica L.