Gegner
Gegner
Donnerstag, 3. April 2008
Jeder Balkongärtner hat Feinde. Ich meine hier nicht jene Nachbarn, die dramatisch andere Auffassungen über die zumutbare Bepflanzung von Blumenkästen vertreten. Es geht also nicht um menschliche Gegner. Etliche meiner Feinde haben Flügel, andere sind auf sechs und mehr Beinen unterwegs. Sie sind die unwillkommenen Botschafter einer nicht gezähmten Natur. Genau sie waren eben nicht eingeladen, als die schöne Absicht eines naturnahen Terrassenbiotops entstand. Bienen und Schmetterlinge - gern gesehen. Läuse und Wanzen - vielen Dank. Die Sperlinge können mir auch gestohlen bleiben. Sie kommen unter dem Vorwand, vom Regenwasser aus den Unterschalen zu trinken. Dann entdecken sie die Eignung von Blättern und Trieben für den Nestbau und zwacken sie ab. Außerdem mögen sie die jungen Sprossen der Schafgarbe. Und die Keime der Wicken haben sie im letzten Jahr, das unterstelle ich, aus purer Bosheit gekappt. Wenn Spatzen kommen, hämmern wir gegen die Glasscheibe der Terrassentür. Das erschreckt die Vögel für den Moment, aber die Bande hat ja Zeit. Sie wartet auf den Ästen der Birke vor dem Haus. Wir sind schließlich nicht immer zuhause. Im letzten Jahr habe ich verzweifelt versucht, die frischen Salbeiblätter mit Streifen vom Alufolie - sagt man noch „Silberpapier“? - vor den Spatzen zu schützen. Es schien keinen besonderen Eindruck zu machen.
Die Feinde scheren sich nicht um die Kulturleistungen des Gärtners. Sie sehen einen gedeckten Tisch. Besonders wählerisch sind sie dabei nicht. Ich habe mal gelesen, dass Kapuzinerkresse Blattläuse abschrecken soll. Blattläuse lesen aber nicht. So eine Regel ist ihnen nicht bekannt. Die schwarze Brut hat sich im vorletzten Sommer mit größtem Behagen auf der Kapuzinerkresse breit gemacht. Außerdem sollen Blattläuse keine aromatischen Kräuter mögen. So denken aber nur Menschen. Unsere Blattläuse finden nichts dabei, auch Pfefferminzstängel zu besiedeln.
Die Saison meiner Gegner beginnt gerade wieder. Auf den Erdbeerblättern hat eine hellgrüne Blattlauskolonie überwintert. Zur Schadensbegrenzung reiße ich die am dichtesten besetzten Blätter ab und lasse sie vom Dachgeschoss in den Garten des Nachbarhauses segeln - ich bin ja kein Unmensch. Wenn der Kirschbaum ausgetrieben hat, werde ich täglich nach den Nestern der Schwarzen Kirschenblattlaus suchen müssen, sonst mickert der Baum. Ich bevorzuge schweren Herzens die chirurgische Methode der Entlausung, also das Abschneiden der befallenen Pflanzenteile. Es juckt mich zwar, grimmig zur Giftspritze zu greifen. Aber die Hoffnung, dass der Baum im Sommer vielleicht sechs, sieben Kirschen trägt, lässt mich zögern. Auf den Insektizid-Spraydosen vom Baumarkt steht nie, wann das Gift wieder abgebaut ist. Schließlich sollen die Früchte ja gegessen werden.
Die schlimmste der Plagen sind die Spinnmilben, die sich bei trockener Hitze auf den Tomatenpflanzen ausbreiten. Man entdeckt sie erst, wenn sie die halbe Plantage schon erobert haben. Gibt es eigentlich Pflanzenschädlinge, die Balkongeranien befallen? Nicht, dass ich so etwas absichtsvoll in Verkehr bringen möchte. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Schmarotzerei auf so einer Pflanze unter der Würde auch der hungrigsten Blattlaus wäre. Jedenfalls meine ich noch nie eine von Fraßfeinden heimgesuchte Geranie gesehen zu haben.
Wer seinen Balkon mit richtigen Pflanzen bestellt, muss konstatieren - da ist kein Entrinnen. Der Feind ist überall. Die Vielfalt allein der Läuse-Sippe ist berauschend. Zitat: „Es gibt bei uns: die grüne und mehlige Apfelblattlaus, die Blutlaus, die schwarze Bohnenlaus, die grüne Erbsenblattlaus, die schwarze Kirschenblattlaus, die Johannisbeer-Blasenlaus, die mehlige Kohlblattlaus, die Oleanderschildlaus, die grüne Pfirsischblattlaus, die Rosenblattlaus, die Salatwurzellaus, die San José-Schildlaus, Schildläuse, die Sitkafichtenlaus, Tannenläuse und Wolläuse.“ Recht besehen: Vielleicht sind Sebnitzer Kunstblumen doch eine Alternative.
„Leidest du, daß diese Sippe weiter frißt, was sie begehrt / bleibt dir nur das Blattgerippe
als ein Muster ohne Wert!“
(Werbelyrik für das Schädlingsbekämpfungsmittel FEKAMA aus dem VEB Fettchemie Karl-Marx-Stadt, ca. 1960)