Drucksachen
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Dienstag, 22. Januar 2008
Gelb war er, der Zeitungskiosk. Auf einer Grundfläche, nur unbedeutend größer als die einer Speisekammer, blätterte sich das gesamte DDR-Pressewesen auf. Die tristen Bezirkszeitungen. Die grünweiße „Wochenpost“, wenn man sie denn zu sehen bekam. Die rote „Weltbühne“. Magazine wie „Sammlerexpress“, „Der Hund“, „Modelleisenbahner“, „Po Swetu“. Ich las das „Fotokino-Magazin“ und die „Fotografie“, „Melodie & Rhythmus“ und „Unterhaltungskunst“.
Alle paar Wochen kaufte ich auch ein dünnes Heft in einem schmalen Hochformat. Es hieß „Poesiealbum“ und enthielt, selbstverständlich, Gedichte. Jede Ausgabe widmete sich einem Autoren - nicht immer jemandem, der in die klassische Rubrik „Schriftsteller“ fiel - und seiner Lyrik. Ein Streiflicht nur, natürlich. Aber ein helles. Und wie hätte ich sonst Paul Celan kennen gelernt? Oder Boris Vian? Oder Karl Krolow?
Heidi Rustemeyer - wie sie selbst sagt, „Leserin, Sammlerin, Webmasterin“ - hat mich vor einigen Tagen angeschrieben. Sie ist hartnäckig auf der Suche nach Autoren, die seinerzeit mit dem „Poesiealbum“ zu tun hatten. Das hat seinen Grund. Der „Märkische Verlag Wilhelmshorst“ lässt die Reihe wieder aufleben.
Nachdem der ursprüngliche Verlag „Neues Leben“ das „Poesiealbum“ 1990 mit Ausgabe 275 einstellte (das schon angekündigte Heft mit Mario Persch sollte es nicht mehr geben), erschien im Jahr darauf noch ein einzelnes Bändchen, gewissermaßen als Nachtrag. Autor war Bernd Jentzsch. Dann war, wie es aussah, endgültig Schluss. Doch Jentzsch, der die Reihe als Lektor begründet hat, tritt nun wieder an und betreut 17 Jahre später die Wiederauferstehung des Heftes.
Der Verlag zitiert auf seiner Website ein paar Pressestimmen. Seltsam, dass gleich mehrere so ausdrücklich betonen, das Heft habe seinerzeit mit einem Preis von 90 Pfennigen so viel gekostet wie ein Brot. Ich weiß nicht mehr, wie viel in der DDR ein Brot gekostet hat, aber das kommt schon hin. Vielleicht soll das sagen, das „Poesiealbum“ sei so etwas wie ein Lebensmittel gewesen. Was wiederum stimmt.
32 Seiten, 275 Ausgaben bis 1990. Das „Poesiealbum“, ein Lebensmittel.